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Digitale Medien sind so eng mit dem Alltag von Kindern und Jugendlichen verknüpft, dass die Frage naheliegt: Geht es ihnen damit gut?
Die Mediennutzung kann zur Belastung werden: Wenn das Smartphone oder die Spielkonsole ständig präsent sind und auch nachts nicht weggelegt werden. Wenn soziale Netzwerke das Gefühl geben, nicht gut genug zu sein. Wenn im Klassenchat gemobbt wird. Oder wenn Meldungen über Krieg und andere Krisen Ohnmacht auslösen und Angst machen.
In dieser Rubrik zeigen wir, wann Vorsicht geboten ist. Und wie Erwachsene Kinder und Jugendliche dabei unterstützen können, ihr seelisches Gleichgewicht zu bewahren. Denn Mediennutzung soll nicht überfordern, sondern stärken.
Bilder in sozialen Medien zeigen selten die Realität. Schönheitsideale sind oft einseitig.
Es gibt vermeintliche Schönheitstrends, die gefährlich sind für die Gesundheit.
Onlinesucht beginnt oft mit sozialem Rückzug.
Wenn Bilder von schlimmen Ereignissen Kinder beunruhigen, sind offene Gespräche wichtig.
Inhalt
«Wer bin ich?» und «Wer will ich sein?»: Solche Fragen sind auf dem Weg zum Erwachsenwerden wichtig. Digitale Medien bieten Orientierungsmöglichkeiten und beeinflussen, wie Jugendliche denken und handeln, wie sie sein möchten und wie sie ihr Leben gestalten wollen. Neben dem Freundeskreis sind nicht mehr die Erwachsenen in ihrem Umfeld die wichtigsten Vorbilder, sondern Stars und Idole, denen sie im digitalen Raum folgen.
Gleichzeitig ist das Internet – gerade durch soziale Netzwerke – eine Plattform, um sich auszuprobieren. Jugendliche können verschiedene Identitäten testen und sehen, wie sie damit auf andere wirken. Wie viele Likes erhalte ich für mein neues Outfit? Was für Kommentare werden wohl zu dem Video gepostet? So entstehen verschiedene Identitätsfacetten, die sich permanent neu zusammensetzen und weiterentwickeln.
Ob in der Werbung oder auf Social Media: Fotos vermitteln oft ein Bild, das nicht der Realität entspricht. Makellose Haut, glänzendes Haar, perfekte Körperformen, pralle Muskeln, ebenmässiger Bart und vorstehende Wangenknochen – alles mit Filter-Apps oder Photoshop machbar. So wird ein unerreichbares Schönheitsideal kreiert, dem aber gerade viele Jugendliche nacheifern wollen, weil sie damit Erfolg und Anerkennung in Verbindung bringen. Einige Filter in sozialen Netzwerken führen ausserdem dazu, dass sich viele Bilder ähneln. Dadurch entsteht eine Schönheitsnorm, die homogen und standardisiert erscheint – Vielfalt und Individualität werden in den Hintergrund gedrängt.
Auch stereotype Geschlechterrollen werden in sozialen Medien häufig verstärkt: Frauen inszenieren sich als möglichst schlank und sexy, als schutzbedürftig und zart, Männer als stark, cool und durchtrainiert. Wer nicht in dieses Bild passt oder sich nicht damit identifiziert, kann sich schnell ausgeschlossen oder «falsch» fühlen.
Besonders in der Pubertät, wenn der Blick auf den eigenen Körper ohnehin kritisch ist, entstehen dadurch negative Gefühle. Das kann den Selbstwert schwächen – und in schweren Fällen zu Ängsten, Depressionen oder sogar Suizidgedanken führen. Studien zeigen, dass besonders Jugendliche mit ohnehin geringerem Wohlbefinden gefährdet sind, durch soziale Medien in eine Negativspirale zu geraten.
Dass Kinder und Jugendliche zeitweise in Online-Welten abtauchen, ist normal – gerade wenn sie neue Spiele oder Apps entdecken. Und auch wer regelmässig lange online ist, ist nicht automatisch süchtig. Aber es gibt Onlineaktivitäten und Inhalte, die ein gewisses Suchtpotenzial aufweisen. Entscheidend ist, ob jemand seinen Medienkonsum noch im Griff hat. Oder ob ohne Bildschirmzeiten Entzugserscheinungen wie Gereiztheit oder Stimmungsschwankungen auftreten.
Offiziell von der Weltgesundheitsorganisation als Krankheiten anerkannt sind die Computerspiel- und die Sex- bzw. Pornosucht. Seit Anfang 2022 werden sie im international gültigen Katalog ICD-11 aufgeführt. Dabei wird kein Unterschied zwischen Offline- oder Online-Verhalten gemacht.
Demnach liegt eine sogenannte Computerspielstörung (Gaming-Disorder) vor, wenn über einen Zeitraum von mindestens 12 Monaten folgende Aspekte beobachtet werden:
Die Kontrolle über das Spielverhalten (Häufigkeit, Dauer, Intensität, Beginn/Ende) geht verloren.
Das Spielen wird so wichtig, dass für andere Aktivitäten kaum mehr Zeit bleibt bzw. wenig Interesse für andere Lebensbereiche besteht.
Trotz der negativen Konsequenzen (z. B. soziale Isolation) kann mit dem Spielen nicht aufgehört werden.
Bei einem zwanghaften Sexualverhalten, zu der auch die Pornosucht zählt, sieht es ähnlich aus:
Über einen längeren Zeitraum (mind. 6 Monate) gelingt es nicht, sexuelle Impulse zu kontrollieren.
Sexuelle Aktivitäten werden zu einem oder dem zentralen Lebensmittelpunkt, während andere Bereiche vernachlässigt werden.
Versuche, das Sexualverhalten zu mindern, sind bisher gescheitert.
Selbst wenn beispielsweise beim Schauen von Pornos keine Befriedigung mehr empfunden wird, kann damit nicht aufgehört werden.
Persönliche, familiäre, soziale und/oder berufliche Beziehungen werden von dem exzessiven Verhalten beeinträchtigt.
Rückzug ist oft ein erstes Anzeichen für eine problematische Nutzung des Internets. Zeichen dafür sind: Soziale Beziehungen und Aktivitäten ausserhalb des Internets werden vernachlässigt, Gespräche über den eigenen Umgang mit dem Internet werden vermieden. Eine Begleiterscheinung kann ein Leistungsrückgang in der Schule oder im Beruf sein. Spätestens jetzt sollten Nahestehende reagieren.
Jugendliche suchen im Internet nach Verbindung, Gemeinschaft und Austausch. Wenn sie sich einsam fühlen, wenn sie ein Thema beschäftigt oder sie unzufrieden mit sich selber sind, können Online-Communities Trost, Verständnis oder Zugehörigkeit bieten.
Das kann stärkend sein, birgt aber auch eine Gefahr: Nicht alle Gruppen und Inhalte helfen wirklich.
Unter verschiedenen Hashtags (z. B. #skinnytok, #thinspiration, #bonespiration, #ED für eating disorder) sind zum Beispiel Inhalte zu finden, die Essstörungen als Lifestyle verherrlichen. Auch ironisch oder spielerisch verpackte Formate (z. B. «Rate, wie viel ich heute gegessen habe») werden genutzt. Zudem stacheln sich Nutzende online gegenseitig an. Sie nehmen untereinander Kontakt auf und bilden dann geschlossene Gruppen (z. B. auf WhatsApp oder Instagram), in denen sie sich zum Abnehmen animieren und Diättipps austauschen. Meist wird dabei auch Druck ausgeübt: Wer gesteckte Ziele nicht erreicht, wird in der Gruppe fertiggemacht oder ausgeschlossen.
Ein weiteres Phänomen im Bereich von Essstörungen ist das sogenannte «Anorexie-Sexting»: Dabei animieren Männer unter falscher Identität junge Mädchen zum Abnehmen und bringen sie dazu, Fotos zu posten. Zudem gibt es Männer, die als sogenannte Anorexie- oder Ana-Coaches im Internet auftreten.
Ebenso gefährlich ist es, wenn sich Jugendliche viel mit Inhalten beschäftigen, in denen es um Selbstverletzung, Depression oder Suizid geht. Durch die Programmierung der Algorithmen sehen sie dann immer mehr solcher Beiträge – das kann zu einer Negativspirale führen. Studien zeigen, dass sich dadurch das seelische Wohlbefinden verschlechtern kann – vor allem bei Jugendlichen, die sich ohnehin belastet fühlen.
Kriege, Katastrophen oder schlimme Ereignisse: Kinder und Jugendliche kommen über Nachrichten, soziale Medien oder Chats schnell mit verstörenden Inhalten in Kontakt. Solche Bilder können Angst, Trauer, Wut oder Verunsicherung auslösen.
Je nach Alter und Entwicklungsstand reagieren Kinder unterschiedlich: Jüngere Kinder können Realität und Fiktion oft noch nicht trennen. Sie reagieren emotional, ohne alles zu verstehen. Ältere Kinder stellen Fragen: Kann das auch mir passieren? Warum geschieht so etwas? Wer ist schuld? Jugendliche denken oft über eher abstrakte Themen nach, wie Cyberangriffe oder Atomkrieg. Sie interessieren sich zunehmend für Politik und dafür, was in der Gesellschaft passiert.
Eine Studie von Pro Juventute zeigt: Ein Viertel der Jugendlichen macht sich grosse Sorgen um die Welt. Auch soziale Ungerechtigkeit, Rassismus und Sexismus beschäftigen. Mädchen und junge Frauen sind besonders betroffen – sie fühlen sich öfter traurig, überfordert oder erschöpft.
Fragen Sie nach: «Was findest du schön? Wer entscheidet das eigentlich?» Machen Sie Mut, sich nicht mit Einheitsbildern zu messen. Wahre Schönheit hängt nicht von Äusserlichkeiten ab, sondern von anderen Werten und Qualitäten. Auch vermeintliche Schwächen oder weniger perfekte Seiten gehören zum Leben. Unterschiede machen Menschen interessant und authentisch.
Wenn sich Kinder zurückziehen, ständig am Handy sind, schlecht schlafen oder keine Freude mehr an anderen Aktivitäten haben, kann das auf eine Überforderung hindeuten. Statt Verbote helfen Gespräche über digitale Auszeiten, feste Pausen und klare Regeln.
Wenn Gesehenes ängstigt, sollten Erwachsene das nicht herunterspielen oder mit Sätzen wie «Mach dir keine Sorgen» oder «Du brauchst dich nicht zu fürchten» abtun. Nehmen Sie die Gefühle ernst und fragen Sie auch hier nach: «Was genau hast du gesehen? Wie fühlst du dich, wenn du das siehst/hörst?»
Hilfreich kann es sein aufzuzeigen, dass viele Menschen helfen – sichtbar etwa als Rettungskräfte, Polizei oder Pflegepersonal, aber auch im Hintergrund, z.B. in der Wissenschaft oder durch Diplomatie. So lernen Kinder: Auch in schweren Zeiten gibt es Menschen, die sich kümmern. Kindernachrichten können zusätzlich helfen, Zusammenhänge altersgerecht zu erklären.
Letzte Aktualisierung des Textes am 12.11.25